Tal der Murmeltiere & Roche la Croix & Refugio Gorbonetto / Aufstieg Maira-Stura, 2105m
Ich wache früh auf, der Rest der Bande schläft den Schlaf der Gerechten. Noch nicht einmal die Murmel sind wach und verpfeifen mich.
Friedliche Stille im Tal…
Es hat 8 Grad, immerhin im Plusbereich, also steige ich in meine Kneippjeans, schnappe mir meine Kamera und mache mich leise auf den Weg, dieses friedliche Tal, das uns heute Nacht Herberge gab, ein bisschen zu erkunden.
Eine Weile gehe ich am Schotterbett des Flüsschens im Talgrund entlang, dann locken mich handtellerkleine Silberdisteln in einen Geröllhang. Bei näherer Betrachtung entdecke ich die geschlossenen Kelche einiger Enzian, die sich durch eine Geröll-Lawine zurück ans Licht gekämpft haben – auch sie warten auf die Morgensonne.
Achtsam klettere ich im losen Geröll bergan bis sich meine Pumpe deutlich meldet und ich mich zum Verschnaufen auf einen Felsklotz setze. Höhe und Anstrengung machen sich jetzt doch wieder bemerkbar…
Aber, welch eine friedvolle Stille!
Mein Blick schweift durch die Weite des langgezogenen Talkessels. Unser Highlander-Camp liegt einsam und winzig klein in dieser kargen Ebene. Erste Sonnenstrahlen berühren die Gipfel. Ein leichter Wind streift über die Hänge.
Kein Laut eines Tieres, nicht ein Geräusch – einfach nur diese friedvolle Stille!
Auf dem ersten Bild könnt Ihr rechts im Hang die Serpetinen erkennen, über die wir gestern ins Tal kamen.
Der frühe Sonnenschein wandert über die Hänge herab und lässt allen Strukturen plastischer hervortreten – kann aber unser Camp nicht erreichen, bevor die Sonne hinter einem Gipfel verschwindet. Das Tal ist zu eng und zu tief. Oder die Berge zu hoch? Es ist, wie es ist.
Im Camp rührt sich noch immer nichts, als ich zurückkomme. Die zweibeinigen Murmeltiere schlafen.
Aber die vierbeinigen werden allmählich wach!
Erste Pfiffe schallen durch’s Tal, erhalten Antwort und bald ist ein reges Morgengeplauder im Gange.
Ich gehe hinter einer der Mauern in Deckung und beobachte mit der Kamera, was sich am Bau gegenüber so tut…
Sorry, da müsst Ihr jetzt durch. – Immerhin sind wir im Tal der Murmeltiere!
Dann regt sich allmählich auch Leben in den Dachzelten und bald zieht der Duft von frischem Kaffee durch’s Camp.
Martin zapft Spühlwasser von seinem Foxwing, wir spielen noch ein bisschen mit den Kameras – und entdecken dabei einen Nachtfalter von beachtlicher Größe. Der dann aber in seiner Tarnfarbe mit der alten Mauer verschmilzt und bis in nächste Nähe unsichtbar scheint!
Nach einem kleinen Abstecher in den engen Talhintergrund machen wir uns auf den Weg zum Roche la Croix.
Über eines dieser typischen Holzbrückchen verlassen wir das vermurmelte Ubaye-Tal, in dem wir uns so wohlgefühlt haben. Entlang des Téte de l’Infernet, der auf 2892m aufsteigt, folgt unsere Strecke dem ausgetrockneten Bachlauf in Richtung La Condamine-Chatelard.
Bei der kleinen Chapelle Sainte Anne kommen wir wieder auf befestigte Straßen und nutzen den klaren Bergbrunnen dort, um unsere Wasservorräte aufzufüllen. Dabei fällt uns gegenüber im Hang, an der Flanke des Rocher de la Breche, skurril zusammengefalteter Fels auf – welche Kräfte müssen da am Werk gewesen sein!
Nach wenigen Kilometern Asphalt führt dann ein vertrauenerwerkend stabiles Brückchen über eine tiefe Schlucht zum Aufstieg auf den Roche la Croix am Téte de Siguret. Wir durchfahren den Bergwald und sehen aus den Hängen wieder Lärchen wachsen, die diese einzigartigen Form haben, die sie später zu Alphörnern werden lässt.
Der feuchte Bergwald ist mit Flechten und Moosen überzogen und manche der Lärchen hier oben haben seltsame Verdickungen im Stamm, für die ich bis heute keine Erklärung finden konnte. Sie sind auch im Holz abgestorbener Bäume zu finden, die längst ihre Rinde verloren haben.
Am Fort Inférieur, auf 1908m, stehen wir dann genau vor der Situation, die wir befürchten, seitdem wir all die gedankenlose Zerstörung unterwegs gesehen haben: Ein Schlagbaum versperrt uns die Einfahrt zum Fort!
Waren es Bilder im Netz von schweren Allradlern auf der historischen Geschützkuppel? Oder auch Sorge, ein übermütiger Fahrer könnte über die Kante der Betonplatte hinaus in die Tiefe stürzen? Vielleicht auch die Feuerstellen im Inneren der Ruine…
Wir erkunden das Fort zu Fuß, freuen uns an der genialen Aussicht auf den Téte de Viraysse und das Tal tief unter uns – und entdecken unser Brückchen von vorhin.
Ein begehbarer Tunnel aus Stahlblech begleitet den Fußweg im letzten Abschnitt zum Fort. Er sollte wohl vor Kugeln schützen. Auch der neuzeitliche Donnerbalken hat einen zweifelhaften Kugelfang, wie die Durchschläge deutlich zeigen.
Auf einer der guten, alten Papierwanderkarten verschaffen wir uns einen Überblick über den Weg zum Fort Supérieur. Keiner von uns ist ihn vorher gefahren. Gute zwei Kilometer sind es und der Höhenunterschied von hundert Metern ist moderat. Der Weg steigt auch erst ganz harmlos im lichten Bergwald aufwärts – aber dann!
Dann braucht dieser Pfad starke Nerven oder besser gar keine!
Wer dort erst einmal reinfährt, muss durch!
An Wenden ist nicht zu denken und Rückwärts wäre ein Himmelfahrts-Kommando, die Felsen fallen direkt an der Strecke senkrecht ab und steigen auf der anderen Seite genau so senkrecht auf. Oft reicht es noch nicht einmal zum Tür aufmachen und aussteigen. Auf dieser reichlichen Spur Breite neigt Noah sich auf den Muren – natürlich zum Abgrund…
Jörg manövriert ihn konzentriert um scharfe Biegungen und immer wieder mit Vorsicht über Geröllmuren. In Anbetracht meiner gelegentlich auftretenden Schnappatmung verkneift er sich standhaft sein Lausbubengrinsen – nur aus den Augen kann er es nicht verbannen…
Auf dem fünften Bild bekommt Ihr einen Eindruck davon, wie Noah auf einer der Muren zum Abhang kippt.
Oben am Fort lässt Jörg sein Lausbubengrinsen frei und es ist so breit, dass er damit nicht mal mehr in Noah passt!
Das Fort hat eine interessante Architektur und ist mit all seinen Rundbögen bestimmt richtig stabil gewesen. Wir schlendern durch die Ruine, werfen noch einen Blick Richtung Tal und machen uns recht schnell wieder auf den Weg.
Heute Nacht wollen wir auf dem Plateau an der Maira-Stura campen.
Für den malerischen Brunnen muss dann aber doch noch ein Fotostopp sein…
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Unser Weg von Meyronnes kommend zu den beiden Forts, erster Wegpunkt das kleine Brückchen über die Schlucht, zweiter Wegpunkt ein kleiner Waldparkplatz vor dem Schlagbaum zum Fort Inferieur, dritter Wegpunkt die Ruine des alten Forts und Zielpunkt das Fort Superieur mit seiner atemberaubenden Piste.