Refugio Garbonetto & Maira-Stura-Kammstrasse & Flusscamp im Vallone di Preit
Hier kommt meine persönliche Traumstraße der Alpen: Die Maira – Stura – Kammstraße!
Diese landschaftlich äußerst reizvolle Hochstraße verläuft auf kargen Höhenzügen über mehrere Pässe und bietet immer wieder überwältigende Panoramen, die sich irgendwo im fernen Blau am Horizont verlieren!
Petrus hat heute ein Einsehen und gönnt uns bei strahlendem Sonnenschein diese Genießertour.
Das kleine Natursträßchen lässt sich recht entspannt befahren, hält aber für uns Abenteurer am Colle d’Ancoccia eine fahrtechnische Herausforderung parat. Jörg nimmt sie mit breitem Lausbubengrinsen an und meine Kamera läuft von nun an heiß…
Vom französischen La Condamine-Chátelard über Meyronnes kommend, wechselten wir gestern über einen kleinen Pass nach Italien und folgten dort der Strada statale (Staatsstraße) SS21 über Sambuco bis Demonte im Sturatal. Von hier aus steigt das Sträßchen im Vallone dell’Arma von 780m bei Demonte hinauf auf 2416m zum Beginn der Maira-Stura.
Unser Plan war es, auf dem Hochplateau am Beginn der Kammstraße zu campen. – Petrus entschied anders: Mit Pauken und Trompeten = Donnerschlag und Berggewitter überzeugte er uns, die Nacht doch besser im kleinen Refugio Carbonetto abzuwettern.
Und diese Entscheidung war nicht schlecht: Ohne auch nur einen Finger zu rühren, genossen wir ausgesprochen delikate Pasta und schliefen seelenruhig in der vor Blitzen geschützten Hütte – statt im Dachzelt auf dem Hochplateau…
Der Morgen spielt dann mit faszinierenden Wetterbildern!
Bei lichten Wolken und Sonnenschein kriecht unvermittelt undurchdringlicher Nebel aus dem Vallone dell’Arma herauf und löscht in erstaunlichem Tempo Berghänge und Tal aus. Nur noch einzelne Gipfel erheben sich über diesem wogenden Meer. – Was für ein Schauspiel!
Aber: Was für ein eigentümliches Gefühl, als diese milchig weiße Walze unaufhaltsam über den Hang herauf auf mich zu rollt und lautlos Baum und Strauch vor meinen Augen verschluckt. – Bis auch ich mich in kühlem, weißen Nichts wiederfinde und kaum mehr meine nächste Umgebung ausmachen kann – unwirklich!!
Mit den paar Tropfen, die bald darauf fallen, versöhnt Petrus uns durch intensive Regenbögen und schnell wechselnde Licht- und Schattenspiele. Dabei schiebt er noch rasch die meisten Wolken beiseite und wir starten kurz darauf in einen Tag, dessen Bilder sich unauslöschlich in unserer Erinnerung festgesetzt haben…
Zuerst versorgen wir uns aber noch mit leckerem Bergkäse. Nach einem Tipp der jungen Refugio-Wirtin finden wir schnell den Wiesenweg zur gegenüberliegenden Bergflanke, wo der urige Bauer uns freundlich empfängt – einer mit diesen faszinierend schwarzen, italienischen Augen!
Schnell werden wir uns handelseinig und den Rest der Woche gewiss nicht am Hungertuch nagen!
Am Colle Valcavera beginnt die eigentliche Maira-Stura-Kammstraße, gleichzeitig ist der Pass mit 2416m einer ihrer höchsten Punkte. Durchaus passend wechselt hier der Straßenbelag von Asphalt zu Schotter, der sich viel besser in die raue Schönheit dieser Landschaft einfügt. Hinter jedem Berg, den wir umfahren, öffnet sich ein neues, eindrucksvolles Panorama und wir folgen begeistert diesem gewundenen Natursträßchen durch die baumlose Gebirgslandschaft. Der Eindruck weltabgeschiedener Weite wird noch verstärkt durch unsere tatsächliche Einsamkeit: Kein Mensch, kein Haus, kein Fahrzeug – allenfalls mal eine kleine Kapelle und hin und wieder verwitterte Ruinen. – Der September ist eine gute Zeit, hier ungestört zu reisen!
Wir lassen uns Zeit für die herrlichen Weitblicke am Pass, bevor wir gemütlich der schmalen Spur der Kammstraße folgen. Gefühlt eben verläuft sie nun und verlockt immer wieder zum Halten und Fotografieren.
Am Colle Bandia auf 2408m finden sich Ruinen einer Kaserne und eine, vermutlich aus deren Steinen erbaute, Marien-Kapelle. Hinter der überraschend modernen Marienstatue liegt versteckt ein umklappbares Stahlgerüst – die Erklärung liefert wenig später Pippo’s Galerie im Inneren des nach vorn offenen Bau’s. Seine Fotos, über Jahre zu allen möglichen Tages- und Jahreszeiten aufgenommen, zeigen u.a. die Kapelle bis über’s Dach eingeschneit und diese Statue mit dem aufgerichteten Stahlkorsett, das sie gegen die Schneemassen schützt.
Kurz vor dem Colle Bandia zweigt rechts ein ruppiger Steinweg ab, der steil bergauf zum höchsten Pass der Maira-Stura führt: dem Colle d’Ancoccia auf 2533m! – Natürlich fahren wir zurück dorthin!
Die Strecke enttäuscht nicht und führt uns in dieser Höhe zu außergewöhnlichen Panoramen, doch fordert sie auch immer wieder ungeteilte Aufmerksamkeit. So geht ein talseitiger Abbruch derart tief in den Weg, dass dieser bis zur Hälfte Richtung Tal abgerutscht ist und, trotz notdürftigem Auffüllen, nur im Schritt-Tempo genommen werden kann. Aber der Grund ist mittlerweile festgefahren und bietet Spaß statt Gefahr.
Murmel hoppeln über die Hänge und verpfeifen uns wieder. Einmal mehr sind wir an der Vegetationsgrenze angelangt und wieder fasziniert uns die schroffe Schönheit dieser kargen Landschaft! Schon allein die Vielfalt der Farben im Fels erstaunt uns noch immer – von deren majestätischer Größe ganz zu schweigen…
Wir könnten auf gleichem Weg zur Maira-Stura zurückfahren, doch Martin hat uns neugierig gemacht auf eine abenteuerliche Piste, auf der man sein Auto absolut beherrschen muss. Auf der man teils Steine unter ein Rad bastelt, um die nötige Bodenfreiheit zu garantieren. Auf der man genau wissen muss, wo gerade jedes einzelne Rad unterwegs ist, jetzt, im nächsten Moment und danach. Auf der gerade wir mit unserer nicht so typischen Einzelradaufhängung genau einschätzen müssen, wie Noah mit voller Ladung und Dachzelt reagiert, wenn er am steilen, erdigen Hang über die Diagonale vom Hinter- auf’s Vorderrad kippt…
Jörg hat wieder sein begeistertes Lausbubengrinsen im Gesicht. Martin grinst genauso breit – und wir beiden Mädels schnappen uns unsere Kameras, denn dieser Abstieg hat es in sich!
Harald Denzel beschreibt ihn im „Großer Alpenstraßenführer“ (Näheres unter der Sommeiller-Tour) als Passage mit dem höchsten Schwierigkeitsgrad: „Sehr schwierige und gefährliche Strecke, Benützung auf eigenes Risiko! Nur für sehr erfahrene Lenker.„
Erst einmal fängt es aber recht harmlos an. Die erdige Piste hinab zur Furt des Lago della Meja ist zwar kaum oberflächlich vom Gewitterguss der Nacht abgetrocknet, doch Jörg kann Noah im Spiel mit Bremse, Gas und Leerlauf am Rutschen hindern. In der Furt am Seeauslauf klettern die beiden über grobe Geröllbrocken bevor sie sich dann mit Untersetzung und Sperre über den steilen Anstieg hinaufkämpfen.
Aber das ist erst der Anfang!
Gefälle mit teils 30% auf erdigem Untergrund oder losem Geröll, in denen der ausgewaschene Weg mehr einem tiefzerfurchten, mit kantigen Steinen gespickten Bachlauf ähnelt, halten uns in Atem. Martin begleitet Jörg mit der Funke in der Hand und hat unsere Bodenfreiheit konsequent im Blick. Einmal mehr profitieren wir von seiner Erfahrung. Jörg tastet sich mit Noah quasi Reifenumdrehung um Reifenumdrehung über das zerklüftete Terrain vorwärts. Lässt ihn sachte kippen, fängt ihn ab oder gibt ihm Luft zum Rollen – bloß nicht ins Rutschen kommen!
Ancoccia - Geröllpassage, die Zweite
Nach einer ehrlich verdienten Mittagspause geht es später entspannt weiter durch diese wunderschöne Gebirgslandschaft in Richtung Colle Cologna. Auf 2394m führt ein Teil seiner Strecke direkt am Fels entlang – beste Bedingungen für Steinschläge und Geröllmurren, hier ist noch einmal Vorsicht angesagt! Gerade dieser Abschnitt aber führt durch den gespaltenen Fels und wir fotografieren und fotografieren…
Von hier an umfährt man quasi den Rocca la Meja und hat, sobald er aus dem Bild gerückt ist, einen herrlichen Blick auf das obere Vallone di Preit! Die Maira-Stura schlängelt sich hier malerisch an den Bergflanken um das Tal – wieder so ein Genießerabschnitt!
Vor dem Colle Cologna hatten wir die Wasserscheide zwischen Stura und Maira passiert, aber erst jetzt geht es auch fühlbar hinab – zum Colle del Preit.
Der Colle del Preit liegt „nur noch“ auf 2083m, hält aber in seinem Umfeld einige schöne Abschnitte für uns parat. Ein kleiner Steinschlag ist schnell soweit beiseite geräumt, dass unsere beiden Kameraden die nötige Spurbreite kriegen.
Die Sicht in den baumlos-weiten Talkessel begeistern immer wieder!
Zu den Murmeln gesellen sich weiter unten friedliche Kühe und das Sträßchen schlängelt sich weithin sichtbar durch die Almen an den Bergflanken entlang, immer mit mäßigem Gefälle dem Pass zu. Hier endet dann auch das Natursträßchen und die Zivilisation mit ihrem schnödem Asphalt hat uns wieder…
Colle del Preit
Vom Colle del Preit führt das Asphaltsträßchen über 8 Serpentinen hinab zum Örtchen Preit, das sich auf 1540m in das gleichnamige Tal kuschelt.
Auf dem Weg entdecken wir einen wie verwunschen wirkenden Brunnen, Stellfläche gäbe es auch, aber die Baustelle in unmittelbarer Nähe veranlasst uns, weiterzuziehen.
Am Talgrund finden wir schließlich ein idyllisches Plätzchen direkt an einem kleinen Fluss und schlagen etwas wehmütig zum letzten Mal unsere Zelte in freier Wildbahn auf…
Bei soviel Unverstand verkneife ich mir besser weitere Kommentare!
http://www.openstreetmap.org/copyright
Aus Richtung Demonte über das Vallone dell’Arma kommend, beginnt die Maira-Stura-Kammstraße an unserem ersten Wegpunkt, dem Colle Valcavera. Zweiter Wegpunkt ist die kleine Kapelle am Colle Bandia mit der Madonna, die im Winter Stahlkorsett trägt. Der dritte Wegpunkt bezeichnet den Colle de Anconccia, dem dieser herausfordernde Abstieg folgt! Vierter Wegpunkt ist der Colle Colonia, an dem die Strecke direkt am Fels verläuft und daher mit häufigen Steinschlägen zu rechnen ist. In seiner Nähe führt das Sträßchen fotogen durch einen gespaltenen Fels. Der fünfte Wegpunkt liegt auf der Strecke, die sich hier malerisch um den weiten Talkessel des Vallone di Preit an den Bergflanken entlangschlängelt. Unser sechster Wegpunkt ist der Colle del Preit, an dem das Natursträßchen Asphalt weichen muss, der dann über acht Serpentinen hinab ins Tal nach Preit zu unserem Camp am Fluss führt.