Norddeutschland, Dänemark und Südschweden fahren wir diesmal im Transit. Wir sind im Juli aufgebrochen, Haupturlaubszeit, entsprechend überlaufen sind diese Urlaubsregionen jetzt. Aber wir wollen ja weiter. – Viel weiter. – L a p p l a n d lockt!!
Einzig für die Trelleborg legen wir diesmal einen Stopp ein. Diese wissenschaftlich fundierte Replik der vor tausend Jahren untergegangenen Wikingerburg interessiert uns.
Exakt an der Stelle, an der bei Ausgrabungen deutliche Spuren der ursprünglichen Burg gefunden wurden, erhebt sich jetzt der massige Bau mit seiner trutzigen Palisade aus Baumstämmen, die den breiten Erdwall nach außen hin schützen. Vier Tore in jede Himmelrichtung waren damals die Zugänge. Heute gibt es einen, ist doch nur ein Viertel der knapp 150 Meter im Durchmesser zählenden Ringburg rekonstruiert – mitten im heutigen Trelleborg und so verläuft direkt hinter dem Burgmuseum der vielbefahrene Bryggaregatan, der damals als große Einfallstraße zur besseren Warenkontrolle direkt durch die Burg führte.
Im Inneren ist für alles gesorgt: Im Fischteich tummeln sich unzählige, silbern schimmernde Fischchen und am Langhaus liegt ein Kräuter- und Gemüsegarten, hohe Kräuter wie Dost mit rustikalem Ratangeflecht gestützt. Der Drachenkopf schützt nicht nur die Langboote der Wickinger, auch hier am First des Langhauses übernimmt er die Wacht. Im offenen Raum des Langhauses brennt ein Feuer, über dem ein Eintopf im rußschwarzen Kessel schmort. Fleischbrocken, Rüben und Zwiebeln, gewürzt mit allem, was der Garten hergibt. Salz war teuer. Es riecht nach Lagerfeuer, das gedämpfte Licht im fensterlosen Haus und Felle auf den klobigen Holzbänken machen es heimelig…
In großen Tagesetappen gehen wir nach Norden, folgen aber konsequent der windoffenen Küstenlinie – der Mücken wegen. Hier im dicht besiedelten Süden bleibt uns meist nur ein Campingplatz für die Nacht, dieser bei Oknö ist aber auch sehr schön am Meer gelegen.
Stockholm passieren wir mit wenig Stau an einem Sonntag und mit dem nächsten großen Schritt erreichen wir gegen Abend des Folgetages den Küstenort Grisslehamn und tatsächlich geht um 20.00 Uhr noch eine Fähre nach Storby auf Eckerö, der westlichsten der Aland-Inseln.
Gespannt sind wir auf diese Eilande, von denen man so wenig liest und wir bislang wissen…
Während der Tag allmählich ausklingt, versinkt die flache schwedische Küste hinter der Kimm. Eine ganze Weile begleitet uns noch eine zutrauliche Möwe hinaus auf’s Meer, dann erleben wir einen flammenden Sonnenuntergang. – Was für ein großartiger Auftakt für den kleinen Trawler, der sich auf den nächtlichen Weg zu seinen Fanggründen gemacht hat!
Mit dem letzten Licht das Tages umschifft unsere Fähre die ersten der mehr als 6700! Inseln, Inselchen und Schären der Alands.
Die präsentieren sich uns am nächsten Tag in warmen Rottönen. Die Schären scheinen unter ihrer Verwitterungsschicht zu glimmen. Wir fahren über rot asphaltierte Straßen, oft auf roten Steindämmen, und gehen entlang rotsandiger Strände…
Jahrmillionen alte Magmatite geben dem Alandgranit, auch Rapakivigranit, diese außergewöhnliche Färbung.
Von Eckerö führt Hauptstraße Nr. 1 – es gibt ihrer 4 – über den Marsund auf die größte Insel, die dem Archipel ihren Namen gibt, und endet in der Hauptstadt Mariehamn. Eine der Sehenwürdigkeiten des beschaulichen Städtchens ist die sorgsam als Museumsschiff erhaltenen Pommern, einer der legendären Flying P-Liner der Hamburger Reederei Laeisz.
Wer von Euch mich ein paar Tage länger kennt, weiß um meine Leidenschaft für diese majestätischen, formvollendeten Schwerwettersegler und so war es keine Frage, die Pommern zu besuchen.
Als letzte ihrer Art ist sie im Originalzustand, auch unter Deck, erhalten. Die Museumsmacher haben sich alle Mühe gegeben, das Bordleben authentisch darzustellen. Geht man Richtung Vordeck, quiekt es plötzlich lautstark neben einem aus dem Swinhuck, den viele Segler für Frischfleisch an Deck hatten. Laeisz hatte mit seinem ausgeklügelten Konstruktionskonzept nicht nur die schnellsten und sichersten Großsegler seiner Zeit gebaut, er hatte auch die Mannschaften aus den nassen, muffigen Quartieren unter Deck ins neu konzipierte Brückendeck, einen großen, flachen Aufbau mittschiffs, geholt. Nun waren die Quartiere trocken und gut zu lüften. Einer seiner Leitsätze für den Schiffsbetrieb hieß: Harte Arbeit, gutes Essen. Die Mannschaften waren handverlesen und geschätzt, nur so konnten diese Rennpferde der Ozeane ihr ganzen Potential ausschöpfen und so zuverlässig wie sicher auch durch schwere See gesegelt werden…
… ich gebe zu, es dauert eine ganze Weile, bis Jörg mich von der Pommern runterkriegen kann.
Aber jetzt ist wieder Aland dran.
Von Mariehamn führt ein kleines Sträßchen nach Süden, über rote Steinwälle und Brücken sind mehrere bewaldete Inselchen malerisch durch sie verbunden. Der kleine Ort Järsö ist der Endpunkt.
Verstreut liegen Holzhäuser im Wald auf den Schären. Typisch schwedisch Rot mit weißen Fensterumrandungen, einem Anleger und einem Boot – mindestens.
Jahrhunderte lang gehörten die Alands zu Schweden. Seit rund hundert Jahren sind sie finnisch, friedlich vom Völkerbund beschlossen. Sie haben eine eigene Flagge und Verwaltung, Amtssprache ist nach wie vor Schwedisch.
Wir sehen uns ein wenig um und fahren dann die 12 Kilometer – die Entfernungen auf Aland sind sehr überschaubar – nach Mariehamn zurück, auf dem gleichen, netten Sträßchen, ein anderes gibt es nicht. Zwischen Mariehamn und Finström sind wir auf Hauptstraße 2 unterwegs. Ganze 14 Kilometer. Dann biegt diese in Finström nach Osten ab, wir aber wollen in den Norden der Insel, also Hauptstraße 4. – 22 Kilometer bis Geta. Der Norden Alands überrascht uns mit reichtragenden Obstplantagen und Erdbeerfeldern. Mildes Seeklima macht’s möglich. Aber auch hier ist die Küste stark zerklüftet, immer wieder greifen Meeresarme bis tief ins Land der Insel, formen idyllische, windzerzauste Landzungen auf rundgeschliffenen Schären und stille Buchten mit breiten Schilfgürteln. Wir fahren wieder über rote Steindämme, erst nach Isaksö, das einsam auf seinem vorgelagerten Inselchen liegt. Danö auf Gamlan ist unser nordwestlichster Anlaufpunkt, dann machen wir uns auf die Suche nach einem Platz für die Nacht. – Ein paar Fehlversuche später genießen wir auf sonnenwarmen Schärenfelsen in einer lauschigen Bucht diesen schönen Sommerabend – unser Feierabendbier kühlt schon zu unseren Füßen im Sund…
Kastelholms Slott aus dem 14. Jahrhundert wollen wir uns ansehen, in seiner Blütezeit Stützpunkt der schwedischen Krone – es geht auf König Gustav Vasa zurück – war es nach Plünderungen und Bränden für Jahrhunderte nur noch eine Ruine. Geschichtlich bedeutsam für die Alands wird es nun seit einigen Jahrzehnten wieder aufgebaut und ist zum Puplikumsmagnet aufgestiegen. – Das bekommen wir hautnah mit. Beide Parkplätze sind rappelvoll, Richtung Eingang farbenfrohes Gedränge. So belassen wir es für uns bei einem langen Spaziergang entlang des Schloss-Sees und der ehemaligen Wassergräben, von denen die meisten trocken liegen. Schöne Ansichten der Burg bekommen wir so und im angrenzenden Freihlichtmuseum Jan Karlsgarden, einem mittelalterlichen Dorf mit teils historischen Gebäuden nachempfunden, verläuft sich auch das Gedränge in angenehmer Weise.
Kastelholms Slott liegt am Ostzweig der Hauptstraße 2, dem wir bis zu seinem Ende folgen. Eine rote Straße über einen roten Steinwall quer durch einen Meeresarm und eine kostenlose Pendelfähre später kommen wir auf Sandö an. Das Inselchen empfängt Reisende mit einem großzügigen Rastplatz, der um einen Gedenkstein angelegt ist und offensichtlich liebevoll betreut wird, denn trotz der Hochsommersonne stehen die Blumen in ihren kleinen Töpfchen auf den Tischen in voller Pracht. Da gucken wir doch mal hin und machen unsere Mittagspause mit herrlicher Aussicht über Meeresarme und Inselchen hier. Und, klar, wollen wir wissen, was es mit diesem geschichtsträchtigen Platz auf sich hat. Erstaunt sind wir, auch eine deutsche Aufschrift auf dem Stein zu finden. Der Dank gilt einer deutschen Marineeinheit, die 1918 den Schäreninselgruppen-Freicorps dieser Insel mit Ausbildung und Bewaffnung in ihrem Freiheitskrieg unterstützte. Die Einheit wurde von der Bevölkerung beherbergt und versorgt…
Wir nehmen die einzige West-Ost-Verbindung quer durch Sandö und stehen keine 5 Kilometer später schon in Hummelvik am Fähranleger nach Torsholma. Drei Stunden wird die Überfahrt mit der weißen Alfageln durch die nordöstliche Inselwelt der Alands dauern. Hakenschlagend führt sie uns durch ein wahres Labyrinth von bewaldeten Inselchen und rundgeschliffenen Schären über die bewohnten Inseln Enklinge, Kumlinge und Lappo nach Torsholma. – Diesmal standesgemäß unter der Alandflagge.
Bei strahlendem Augustwetter eine traumhafte „Seereise“ durch gefühlt hunderte kleine und große Alandinseln!
Diesmal sind wir Finnland ein ordentliches Stück und viele, viele Inseln näher gekommen. Nun ist MB wieder dran. Auf Torsholma folgen wir dem einzigen Sträßchen nach Norden. Über einen Steinwall führt es uns auf die Insel Bolmö. Diese beiden schmalen, tief zerbuchtetenen Inseln ziehen sich nahezu gerade von Süd nach Nord. Wir wollen uns wieder ein bisschen umsehen und nutzen von Bolmö aus die Möglichkeit über Korsö nach Fiskö zu fahren. Wieder verbinden lange Molenwälle die Inselchen untereinander. Immer wieder weicht der Kiefernwald auf den Schären zurück und gibt wunderbare Ausblicke auf die Küstenlinie und das Meer frei. Und dann entdecken wir ein Hochmoor mit einer kargen Heide zwischen flachen Felsen, die eine unglaubliche Blütenpracht hervorbringt!
Eine lange Pause später geht’s zurück nach Bolmö, denn ganz im Norden des Inselchens liegt unser vorerst letzter Fähranleger. Mit diesem letzten Schritt setzen wir nach Finnland über.
Der Himmel umzieht sich und der Wind frischt auf. Ruppig wird er auf dem Weg über den Skiflet Kihti, der Bolmö von Pohjametsä, einer der Inseln, die dem Festland auch hier vorgelagert sind, trennt.
Ein kleines Motorboot nutzt das ruhigere Kielwasser der Fähre für eine entspanntere Überfahrt, während der weiße Segler sich souverän auf die Seite legt und den Starkwind bei einer rasanten Passage genießt.
Auch hier an der finnischen Küste haben die Schären noch diese rote Färbung, auch hier fahren wir über Steinwälle von Vuosnainen, dem Fähranleger auf Pohjametsä, über mehrere kleine Inseln, bevor wir das wirkliche Festland Finnlands erreichen.
Mit der Küstenstraße 196 wenden wir uns nach Norden. Ab Pyhäranta nutzen wir kleine Sträßchen bis Rauma. Dessen historische Altstadt mit mehreren Hundert bewohnten Holzhäusern, die teils mit knuffigen Läden locken, zum Weltkulturerbe gehört.
Doch bevor der drohende Regenguss uns einweicht, retten wir uns auf MB und folgen weiter der Küste nordwärts. Dichte Waldstreifen trennen die Straßen vom Meer und wir müssen an die Küstenstraßen im nördlichen Baltikum denken, auch dort schützten diese Waldstreifen die Straßen an der rauen Westküste. In der Nähe von Kristiinankaupunki finden wir bei einem kleinen Hafen einen schönen Platz für die Nacht. Ein dichter Schilfgürtel säumt die Küste soweit das Auge reicht, Holzboote liegen darin versteckt an ihren Stegen. Vorgelagerte Inseln geben Schutz, verursachen aber auch mit dem stürmischen Wind heute eine starke Strömung im Sund – gegen die ich ganz ordentlich gegenanschwimmen muss, rückzu lasse ich mich komfortabel von diesem Wasserlift an den Steg treiben. 🙂
Kristiinankaupunki… ein simpler Ortsname… – der uns darauf einstimmt, dass wir als der finnischen Sprache Ohnmächtigen es von nun an vergessen können, aus den Worten irgendeine Bedeutung herleiten zu können: Pyykinpesu heißt Wäscherei, Leikkipaikka Spielplatz und Vesipiste Wasserstelle (für Trinkwasser)…
PS.: Gleiche Doppelvokale werden lang gesprochen, „au“, „ei“ etc. als einzelne Buchstaben, aber bitteschön so schnell wie zusammen und Doppelkonsonanten werden richtig hart betont…
In der Nacht hat es ordentlich geweht und gewittert und schüttet noch immer, also wieder ein Fahrtag gen Norden – aber die Natur um uns braucht dringend dieses Wasser. Bis Montagmittag soll es durchgehend regnen, aber in Kemi, unserem Tor zu Lappland, soll heute Abend die Sonne scheinen – auf geht’s!
In Oulo stocken wir noch einmal unseren Proviant auf, ab Kemi liegen die Versorgungsmöglichkeiten weit auseinander und man muss natürlich den weiten Weg mit bezahlen, den fahren wir sowieso, also importieren wir doch selbst.
6. August 2022.
15.52 Uhr Ortszeit:
Lappland!
LAPPLAND !!
L A P P L A N D ! ! !
Wenige Kilometer vor Kemi haben wir die Grenze zur nördlichsten und größten finnischen Provinz, nach Lappland, überschritten. Im Mündungsbereich der beiden großen Ströme Kemijoki und Tornionjöki liegen für hunderte Kilometer die letzten Städte und an den Unterläufen ziehen sich kleinere Siedlungen in immer größeren Abständen nordwärts.
Für heute Nacht habe ich mir einen Stellplatz am Ufer des Kemijoki gewünscht. – Diesen mächtigen Strom, der so unendlich viel Ruhe ausstrahlt, will ich unbedingt wiedersehen und für eine lange Weile erleben, erspüren – in aller Ruhe seinen gemächlichen Lauf beobachten…
Petrus hält Wort, die dunkelgraue, träge Wolkendecke reißt gegen Abend auf und beschert uns bei zunehmendem Wind wild zerklüftete Wolkenbilder – filmreif in Szene gesetzt von den letzten Sonnenstrahlen…
Nachts bleibt der Himmel hier am Horizont über lange Zeit fahl-orange im Licht der untergegangenen Sonne, während das weite Himmelsgewölbe bis Mitternacht ein zartes Lichtblau zeigt. Kalter Wind schiebt eine bleigraue Wetterfront über das westliche Ufer gen Norden, doch der Kemijoki hält sie dort und bewahrt uns die Sterne, die wir nach Mitternacht dann auch blinken sehen können. Morgens haben wir einen Sonne-lichte Wolken-Mix und moderate 16 Grad, also schwimme ich einen ausgiebigen Morgenspaziergang im Kemijoki. Ich will ihn spüren. Sein weiches Moorwasser auf der Haut, seine kleinen Wellen über meinen Rücken rollen…
Es wird bei 16 Grad – Lufttemperatur – ein sehr erfrischender Morgenspaziergang und es braucht einiges an heißem Tee, bevor ich mich in unserem wohlgeheizten MB wieder auf Betriebstemperatur gebibbert habe – Aber das musste sein! – und es war herrlich… 🙂
Diesmal folgen wir nicht wieder dem Ufer dieses imposanten Stromes Richtung Inari. – Durch Lappland führt jeder Weg zum Eismeer zwangsläufig weit über Land durch wasserreiche Wälder und ausgedehnte Sümpfe und wo uns die finnische Luftwaffe = Mückenschwärme letztendlich kriegen, ist entsprechend egal…
In diesem Jahr wollen wir uns die wilden Wasser der Stromschnellen im Tornionjöki ansehen. Also fahren wir die paar Kilometer bis zur E8 am Kemijoki zurück und mit ihr in Richtung der Zwillingsstädte Tornio-Haparanda. Doch wir bleiben in Finnland und folgen der E8 von Tornio aus am östlichen Ufer des Tornionjöki nach Norden. Bald erreichen wir die felsige Engstelle, die die Wasser des breiten Stromes so rebellisch macht. Schäumend und tosend bäumen sich die Wellen am Geröll auf und schießen durch die tiefer ausgewaschenen Kanäle im Flußbett. Auf abenteuerlichen Holzgestellen stehend fischen Männer mit traditionellen Langkeschern in diesen Kanälen – und die Ausbeute ist beachtlich!
Diese Art des Fischens reicht hier weit in die Vergangenheit zurück. Sicher ein kräftezehrender Lebensunterhalt. Am Ufer ist ein kleines Freilichtmuseum angelegt mit Bootsschuppen, einem historischen Räucherhäuschen und vielem mehr und mit etwas Glück kann man frisch geräucherten Fisch genießen.
Die einzige Möglichkeit, dem diesseitigen Ufer des Tornio zu folgen, bleibt die E8. Je weiter wir nach Norden kommen, desto mehr lassen wir die besiedelte Kulturlandschaft zurück. Endlos erstrecken sich die arktischen Nadelwälder über die hier sanften Hügel der Taiga. Anfangs noch mit uns vertrauten Baumgestalten, werden diese bald immer schlanker, um der zunehmenden Schnee- und Windlast weniger Angriffsfläche zu bieten. – Hier beginnt das Lappland, nach dem wir uns zurückgesehnt haben! Diese tiefen, nahezu unberührten Wälder, kleine Straßen, oft schnurgerade soweit das Auge reicht – allenfalls ein Rentier verursacht hier mal einen Stau – stille, schilfgesäumte Seen, die so viele schöne Nachtplätze bieten und so manche überraschende, tierische Begegnung und – wir sind zurück im Land meiner geliebten Rentiere! 🙂
Und diesmal besuchen wir Anne-Mari Kovalainen in ihrem Reindeer Lake Resort, auf Suomi Puolukkamaan Pirtit, am Ufer des Puolamajärvi. Versteckt in den Wäldern, zwischen Rovaniemi und Pello knapp über dem Polarkreis, liegt das Resort malerisch am Ufer des Sees. Als wir auf des Gelände rollen, dauert es nicht lange und Anne-Mari kommt mit ihrem robusten Quad alles andere als langsam über den Waldweg her. Wir hatten vorgestern mit ihr telefoniert und so hat sie Zeit eingeplant, uns all unsere Fragen zu diesen sanften, bildschönen Tieren zu beantworten – und wir erfahren noch soviel mehr von dieser Spezialistin! – Dank dafür, Anne-Mari!
Dass es in Lappland mehr Rentiere als Menschen gibt, wussten wir, aber dass ein Teil ihrer Haare zur besseren Isolation hohl sind, wussten wir noch nicht. Auch nicht, dass männliche Rens im Herbst, weibliche erst im Frühjahr ihre Geweihe abwerfen, diese wachsen bis zu 2 Zentimeter am Tag unter ihrem Bast! Ihre breit aufspreizbaren Hufe lassen sie im Moor weniger einsinken.
Im Wechsel der Jahreszeiten, unter natürlichen Bedingungen, legen die Herden tausende Kilometer lange Wanderungen zwischen der weiten, krautreichen Tundra im Sommer und den tiefen Wäldern der Taiga als geschütztere Winterweiden zurück. Neben Rentierflechten, die wahre Teppiche auf den Waldböden bilden, ernähren sie sich von Gräsern, Moosen, jungen Trieben und sogar Pilzen. Und – Anne-Mari kann ihre Leittiere über deren Sendehalsbänder auf ihrer Armbanduhr in den Weiten der Taiga orten. Cool!
Bis zu 20 Jahre kann so ein schönes Tier alt werden. – Sie so hautnah erleben zu können ist einfach wunderbar!
Rico, der Lappländische Hirtenhund, hat Jörg’s Herz im Sturm erobert! Diese Energiebündel auf 4 Pfoten haben eine lange Tradition im Hüten, Treiben und Schützen von Rentierherden und genau das ist sein Job bei Anne-Mari.
Vielen Dank auch dafür, dass wir die im Resort gemachten Fotos hier veröffentlichen können.
Wer mehr über Anne-Mari’s Resort wissen möchte, findet viel Information – auch in Deutsch und Englisch – unter: https://reindeerlakeresort.fi.
Auf dieser Reise wollen wir hauptsächlich die einzigartigen Küsten Norwegens erkunden und damit im äußersten Nordosten, in Grense Jakobselv, beginnen. Daher fahren wir nun Richtung Rovaniemi, um in den nächsten Tagen über die E75, über Tankavaara und Inari, weiter in den Nordosten voranzukommen.
Für die Nacht suchen wir uns einen stillen Platz an einem der vielen schönen Seen. Während Jörg sich um das Feuer kümmert, das wir von einem finnischen Anglerpaar übernommen haben, sehe ich mich um, ob ich nicht etwas Leckeres als Nachtisch finde – und tatsächlich entdecke ich am sumpfigen Ufer des Sees ein paar letzte, vereinzelte Lakkoja, Moldebeeren, – die werden wir uns schmecken lassen! – Bislang kannten wir „nur“ die leckere Marmelade und eingekochten Nachtisch aus ‚Lapplands Gold‘, dies sind die ersten wilden Früchte, waren wir letztes Jahr doch Wochen später unterwegs und die Reifezeit längst vorüber…
Etliche Zeit später bruzzelt Fleisch auf der Grillplatte über der roten Glut. Wir lauschen den Vögeln und Geräuschen im Wald, beobachten ein Rentier, das gemächlich am Ufer gegenüber auf Futtersuche entlangzieht, und sind noch voller Begeisterung über unseren Besuch bei diesen sanften Tieren. Lange noch nachdem die letzten, schrägen Sonnenstrahlen das Seeufer mit seinen gelbgrünen Gräsern verzaubert haben, sitzen wir heute plaudernd am Feuer…
Morgens weckt uns die Sonne, wir strolchen noch einmal durch den Wald am See und – Jörg findet eine abgeworfene Geweihhälfte eines jungen Rentiers!!
Wenig später folgen wir weiter der E75, die ab Aittaniemi für viele Stunden direkt in Süd-Nord-Richtung verläuft. Wo immer uns etwas interessiert, verlassen wir diese Hauptstrecke und sehen uns um – und entdecken so viel Schönes! Über weite Strecken zeigt Lappland sich bei bestem Reisewetter von seiner besten Seite. Das klare Blau des Himmels spiegelt sich in den unzähligen, still daliegenden Seen, unberührte Lachsflüsse durchziehen die tiefen Wälder der Taiga, die Luft riecht frisch und würzig nach feuchtem Wald – und immer wieder begegnen uns Rentiere auf den abgelegenen Pisten. Eines döst ganz entspannt auf der warmen Sandstraße. Als wir langsam vorbeirollen wollen, macht es aber doch gaaanz allmählich und widerwillig Platz. – Und wenn auch das Foto von dem jungen, neugierig in unsere Richtung witternden Ren durch die Skrabbelroad verwackelt ist, finde ich diesen ‚Gegenverkehr‘ so niedlich, dass ich es Euch zeigen möchte…
… Tankavaara, das Goldgräbercamp, ist heute fest in Rentierhand!
Tiefenentspannt schlendert eine kleine Herde durch das Camp. Ihre Hufe poltern auf der Holzveranda, aber warum denn außen herumgehen? Auf dem kleinen Grasflecken mit der Todholz-Skulptur finden sie ein weiches Ruheplätzchen. Sie sind aufmerksam, besonders, wenn man sich ihnen nähert, aber alles andere als scheu und sobald sie spüren, dass dieser ruhige Zweibeiner keine Gefahr bedeutet, dösen und schlafen sie sogar in wenigen Metern Entfernung. – Übrigens: Rentiere schnarchen! 😉
Aber wir sehen auch, dass selbst hoch im Norden viel gebaut und verändert wird. Gibt es in Finnland, wie in Norwegen, eben solch eine von der Regierung beschlossene Tourismusoffensive für diese entlegene Region? Sicher bietet die für die Einheimischen neue und gute Verdienstmöglichkeiten, aber die asphaltierten, breiteren Straßen, die Häuser, die wir im letzten Jahr dort noch nicht gesehen hatten, nehmen leider eben auch den Zauber des fast Unberührten. Zum Glück geschieht vieles davon mit behutsamer Hand, so besteht das auf dem Kaunispää, dem alten Vermessungsberg, errichtete Hotel, aus vielen kleinen Häuschen, deren eine Hälfte ein Glasdach hat. Aus dem warmen Bett heraus kann man hier jetzt die Nordlichter beobachten – sofern kein Schnee auf dem Dach liegt…
Diesmal sehen wir uns auch die Bärenhöhle in einem Findling im Urwald zwischen Ivalo und Inari, den Karhunpesäkivi, an. Und finden uns wieder in solch einem verwunschenen Trollwald.
Durch den steil ansteigenden, ursprünglichen Bergwald führt ein neuer, hölzerner Steig mit 470 – wir haben sie gezählt – Stufen auf den Gipfel. Passagen des Hanges sind so steil, dass man allenfalls auf allen Vieren – also Human 4×4 – hochkommen könnte. Malerisch über den Hang verteilt liegen moosbedeckte Findlinge mit beeindruckenden Ausmaßen. Manche davon möchte man nicht anrühren, in Sorge, sie könnten dann weiter abwärts poltern…
Zu dem großen Findling mit der Bärenhöhle müssen wir gut zwei Drittel der Strecke emporsteigen und lassen uns auch vom letzten Drittel nicht abschrecken, oben werden wir belohnt mit einem ersten Blick auf den Inarisee am Horizont, der hier mit seinen südwestlichen Ausläufern in tiefe Wälder eingebettet liegt.
Bald darauf stehen wir an seinem steinigen Ufer. Wir haben den kleinen Campingplatz angefahren, den wir vom letzten Jahr kennen, weil wir wissen, dass wir dort Wäsche waschen können – und das wird Zeit!
Zwei Nächte bleiben wir diesmal und haben so Gelegenheit, gerade durch die derzeitigen Turbulenzen in der Atmosphäre bedingt, den großen See in ganz verschiedenen Lichtstimmungen zu erleben.
Schon beeindruckend, wie das fahlgelbe Licht noch lange nach Sonnenuntergang am Horizont entlang wandert…
Böiger Wind pustet am nächsten Tag unsere Wäsche, die zwischen den Bäumen sturmsicher an der Leine festgemacht ist, trocken. Der Trockner ist in die Jahre gekommen, so wie der Platz und das alte Paar, das ihn betreibt und längst das Rentenalter überschritten hat. Aber sie sind so freundlich und aufmerksam, dass wir gerne wieder hier Halt gemacht haben.
Dieses Jahr ist auch Zeit für das Nordlappland-Naturzentrum im Siida-Sámi-Museum in Inari. Ein interaktives Museum, in dem wir noch viel Wissenswertes nicht nur über Geschichte und Traditionen der Sámi, der letzten Urbevölkerung Europas, sondern vor allem über diese so einzigartige wie sensible Natur erfahren, in der wir uns nun für Wochen behutsam umsehen wollen. www.siida.fi
Diesmal geht es für uns nicht wieder am Ufer des Inari Richtung Nordosten zur norwegische Grenze, wir fahren in nordwestlicher Richtung an den Inarijoki, der hier die Grenzelinie zwischen Finnland und Norwegen markiert. Ab dem Zusammenfluss von Kárájoha und Inarijoki, etwa auf Höhe von Karasjok, heißt er dann im Norwegischen Tana, auf Nordsamisch Deatnu und im Finnischen Teno.
Letztes Jahr sind wir diese 130 Kilometer lange Schotterpiste an seinem Lauf auf unserem Rückweg in südlicher Richtung gefahren und Jörg freut sich schon lange darauf, sie noch einmal unter die Räder zu nehmen.
Aber dann: Oh großes Elend! – Jörg’s schöne Schotterpiste ist auch ausgebaut worden!
Einsam schlängelt sich das nun verbreiterte und befestigte Sträßchen in Flußnähe durch die ausgedehnten arktischen Wälder. Der Abstand zwischen den vereinzelten „Siedlungen“, manchmal nur zwei Häuser, wird immer größer und oft zeigt eine Hausnummer in uns völlig fremder Höhe an, dass sich tief im Wald ein Haus versteckt.
Auch die Packungsgrößen, die man in Karigasniemi, der letzten größeren Siedlung, kaufen kann, entsprechen den weiten Wegen zur nächsten Versorgungsmöglichkeit. Nicht umsonst sehen wir hier im hohen Norden hauptsächlich Pickups mit Hardtops, die ebensolche Hänger ziehen.
Unser Nachtlager schlagen wir am hohen Ufer des Teno auf, so haben wir eine wunderbare Aussicht auf den Fluß – und vielleicht zeigt sich heute Abend ja einer der Waldbewohner dort unten… ?
Der offene Hang ist bedeckte mit sonnengereiften Beeren, die wir uns wieder als Nachtisch schmecken lassen. Vollreife Preiselbeeren in Massen und selbst die Krähenbeeren sind hier leicht süß und saftig! Sie gelten als schwach giftig, wie unser heimischer schwarzer Holunder, aber den Sámi hier im Norden sind sie eine verlässliche Vitaminquelle und zählen zu ihren Hauptnahrungsmitteln. Wir sind im Norden, also lassen auch wir uns diese Vitaminbomben schmecken – übrigens, ohne jegliche negativen Nachwirkungen und das letztendlich über Wochen, aber in vernünftigen Dosen genossen.
Trotzdem: Selbsttests ausschließlich in Eigenverantwortung!
PS.: Wir haben in einem ausgesprochen schönen Funkoch übernachtet! 😉
Bei Polmak löst sich der Tana Deatnu vom Grenzverlauf, der sich hier Richtung Südosten wendet. Wir folgen dem Fluß weiter Richtung Norden zum Tanafjorden – zum Eismeer!
Noch begleiten ihn die arktischen Wälder soweit das Auge reicht, aber bald schon sinkt die Baumgrenze merklich, so dass die Gipfel kahl und grau über den Wäldern stehen. Wilder Wachholder mit unglaublicher Beerenfülle ist immer öfter am lichten Ufer zu finden und mit den letzten Kilometern nach Høyholmen wechseln wir zum ersten Mal auf dieser Reise in diese herrlich offene Weite der Tundra. 🙂